Geschichten

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Kamera: Sony ZV-E10
Objektiv: E PZ 16–50 mm F3.5–5.6 OSS
Einstellungen: 24 mm | f/4.5 | 1/250s | ISO 100 | 0EV
Aufgenommen in Toledo, Mai 2024
Die Tür in der Gasse
Versteckt zwischen schattigen Mauern, dort wo das Licht nur zögerlich den Boden berührt, steht diese Tür. Ein Stummes Zeugnis vergagener Jahrhunderte, kunstvoll verschossen uhnd doch offen für Geschichten,
Toledo, Castillla la Mancha Mai 2004
„Die verschlossene Tür“ – Eine Geschichte aus Toledo
In einer schmalen Gasse, verborgen zwischen den Schatten der Jahrhunderte, steht sie noch immer – die Tür mit dem Muster, das sich nie wiederholt. Kein Blick gleicht dem anderen, kein Gedanke bleibt unberührt, wenn man vor ihr steht.
Man sagt, hier lebte einst ein Gelehrter. Ein stiller Mann, der Sprachen kannte, die heute nur noch in Träumen gesprochen werden. Seine Bücher waren gebunden in Ziegenleder, mit Zeichen aus drei Kulturen: jüdisch, arabisch, kastilisch. Er schrieb mit Tinte aus Safran und Ruß, bei Kerzenlicht, während draußen das ferne Läuten der Glocken mit dem Ruf des Muezzins verschmolz – in jener Zeit, in der Toledo noch eine Stadt des Wissens war, nicht nur der Mauern.
Die Tür war sein Schutz. Doch sie war mehr: ein Spiegel seines Inneren. Das labyrinthische Holzmuster – von ihm selbst entworfen – sollte die Unwissenden verwirren und die Suchenden prüfen. Jeder Knoten, jede Vertiefung hatte Bedeutung. Manche behaupten, wer die Tür berührt, spürt kurz einen warmen Hauch, als ob jemand hinter ihr atme.
Eines Nachts verschwand der Gelehrte. Man fand sein Arbeitszimmer leer – bis auf ein offenes Buch, dessen Seiten im Wind flatterten. Seitdem wurde die Tür nie wieder geöffnet. Die Bewohner sagen, sie habe keinen Schlüssel, denn sie schließe sich nicht mit Eisen, sondern mit Erinnerung.
Manchmal, wenn der Wind durch die Gasse streicht und der Tag sich in flüssiges Gold verwandelt, sieht man eine Katze davor sitzen – reglos, als warte sie auf das Flüstern einer Stimme, die längst verstummt ist.
Und so bleibt sie stehen. Die Tür.
Nicht als Eingang, sondern als Schwelle – zwischen dem, was war, und dem, was noch immer ruft.